„Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“.
Neun Sektoren und 29 Branchen gelten derzeit als kritische Infrastrukturen, darunter die Gesundheitsversorgung, Energieversorgung, der Verkehr und Finanzdienstleistungen. Krankenhäuser als Teil des Gesundheitswesens fallen bei Erfüllung definierter Kriterien ebenfalls in die Kategorie „kritische Infrastrukturen“.
Für Krankenhäuser haben sich die Umsetzungshinweise der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) als maßgeblich erwiesen. Als Bemessungskriterium wurde hierbei die Anzahl vollstationärer Krankenhausbehandlungen im Bezugszeitraum (Vorjahr) definiert. Mit einer Anzahl von 30.000 vollstationären Behandlungsfällen ist der Schwellenwert zur Identifikation kritischer Infrastrukturen erreicht, was deutlich mehr als 100 Krankenhäuser betrifft, Diese werden zur Erfüllung klar definierter Anforderungen verpflichtet, die aus dem das IT-SiG - "Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz)" - zur Sicherung von IT-Systemen und digitalen Infrastrukturen, einschließlich kritischer Infrastrukturen in Deutschland, und der BSI-KritisV - "BSI-Kritisverordnung" abgeleitet sind. Die genannten Umsetzungshinweise der DKG definieren damit dann auch vorgeschlagene Maßnahmen für den Nachweis einer angemessenen Sicherheit, insbesondere mit Blick auf die eingesetzten IT.
Der 30. Juni dieses Jahres stellte die definierte Deadline für die betroffenen Unternehmen dar, die Anforderungen zu erfüllen und einen geeigneten, vertrauenswürdigen Dritten zur Prüfung und Testierung zu beauftragen.
Einem Bericht des Tagesspiegel Background zufolge liegt genau hier derzeit eine Herausforderung: Branchenverbände weisen seit längerem darauf hin, dass es nicht genügend geeignete prüfende Stellen gibt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Auditoren eine doppelte Qualifikation vorweisen müssen, die neben der IT auch die Kenntnis der Branche, hier also des Gesundheitswesens im Krankenhaus umfasst. Hier, wie in vielen anderen Bereichen, schlägt der berüchtigte Skill-Gap zu, also der Mangel an geeigneten, qualifizierten Mitarbeitern in den Unternehmen oder am Arbeitsmarkt.
Dies führte zu einer Überlastung der zur Prüfung befähigten Unternehmen und damit einer unterschiedlichen Güte und Verfügbarkeit der Prüfungen und der resultierenden Prüfberichte. Das gleiche Schicksal erleiden die Testate dem Pressebericht zufolge bei Einreichung beim BSI, das diese Berichte auswertet. Auch hier führt ein Fachkräftemangel zu einem Bearbeitungsstau. Eine Auswertung lag zum Veröffentlichungszeitpunkt nicht vor. Selbst die Umsetzungshinweise der Deutschen Krankenhausgesellschaft, auf deren Basis viele Umsetzungen in den betroffenen Häusern erfolgten, ist vom BSI noch nicht bestätigt.
Reiht sich damit KRITIS zumindest in diesem Bereich in die Liste der zahnlosen, weil nicht angemessen umgesetzten Richtlinien (wie etwa PSD2 mit seiner Vielzahl nationaler Individualregelungen) ein? Aus heutiger Sicht kann das wohl verneint werden. Die Verpflichtung zur Einhaltung ist nicht aufgehoben, der Personal- und Skillmangel am Arbeitsmarkt verhindert lediglich die konsequente, umfassende Prüfung durch geeignete Stellen wie TÜV, Dekra oder spezialisierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Findet eine solche aber statt, werden die notwendigen Richtlinien angelegt und deren Nichterfüllung entsprechend der Prüfberichte auch nachverfolgt. Betroffenen Krankenhäuser ist damit nahegelegt, die Anforderungen schon zum Stichtag erfüllt zu haben und im Sinne einer kontinuierlichen Umsetzung und Verbesserung daran auch weiterhin zu arbeiten.
Auch Krankenhäuser, die heute diesen Schwellwert knapp nicht erreichen, sind heute schon aus Vernunftgründen angehalten, sich auf Anpassungen der Anforderungen oder steigende Patientenzahlen vorzubereiten. Und das bedeutet, auch ohne Notwendigkeit eines formalen Testats schon die sinnvollen Rahmenbedingungen, etwa den Aufbau eines Informationssicherheits Management Systems (ISMS) nach ISO 27.001 als Grundlage zu schaffen.
Darüber hinaus gibt die Verfügbarkeit eines allgemeinen Rahmens für die Verfügbarkeit und Sicherheit der IT in dieser und anderen Branchen weiteren Branchenteilnehmern (etwa Gemeinschaftspraxen oder fachlich spezialisierte Institute) eine belastbare Basis, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, die einem aktuellen Stand der Anforderungen und der Technik entsprechen. Das gilt auch, wenn sie absehbar nicht KRITIS-relevant sind oder werden, aber ihren Patienten einen vergleichbar guten Sicherheitsstandard und die daraus resultierende Vertrauenswürdigkeit bieten wollen.
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